CfP: Mädchen*fantasien – zur Politik und Poetik des Mädchenhaften, Tagung Universität Zürich, 2.-4.6.2022
7. Tagung der Kommission Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung in der Dt. Gesellschaft für Volkskunde (Web); Moritz Ege, Christine Lötscher, Julian Schmitzberger und Anja Schwanhäußer (Zürich und Göttingen)
Ort: Universität Zürich
Zeit: 02.-04.06.2022
Einreichfrist: 30.9.2021
Starke, wütende, süße, fiese Mädchen, good girls und bad girls, fat girls und sad girls, waif und Wildfang, Tomboy und Nesthäkchen, geek girls, und Superheldinnen, diverse‘ girls* of color mit intersektionaler Agenda und deutsche Mädels mit blonden Zöpfen, Mädchen mit Basecap und mit Kopftuch, girls, grrrls, gurls, Rebellinnen mit Pfeil und Bogen, Heidis Mädchen, Mädchen-cyborgs, Pferdemädchen, total natürliche Mädchen und Mädchen, die sich gerade nicht über das biologische Geschlecht bestimmen: Die Pop(ulär)kultur macht vielfältige Mädchen-Figuren sichtbar und, im Sinne Angela McRobbies, „luminous“.
Mädchen kuscheln, kratzen, lästern, lauschen, lieben, tiktoken, twerken, tratschen, zähmen, zicken. Wenn wir mit Simone de Beauvoir davon ausgehen, dass Mädchen nicht als Mädchen geboren, sondern zu Mädchen werden, dann verweist das Mädchenhafte aus kulturanalytischer Perspektive nicht zuletzt auf habituelle und ästhetische Stile. Sie werden in kulturellen Repräsentationen aufgeführt und in (Mädchen*-)Gruppen gelebt, die sich nicht nur wegen, sondern auch trotz ihrer – weiterhin in vielerlei Hinsicht untergeordneten – gesellschaftlichen Rolle und den damit verbundenen Regeln und Codes mädchenhaftverhalten. „Mädchen*fantasien“ meint hier zweierlei: einerseits die riechenden, tastenden, schmeckenden, hörenden, fühlenden Jugendlichen selbst – samt ihrer welt-schaffenden Imaginationen, ihren Träumen, Wünschen und Sehnsüchten. Anderseits mediale, auch fiktionale Repräsentationen von Mädchen und Mädchenhaftigkeit sowie die gesellschaftlichen Hoffnungen, Heilsversprechen, Utopien, Vorurteile, Begierden Verniedlichungen etc., die auf Mädchen projiziert werden und die sie aushalten müssen.
Gerade in den letzten Jahren sind die Stärkung von Mädchen, die Schaffung positiver Identifikationsmöglichkeiten und die Abkehr von althergebracht-patriarchalen Normen zu besonders prominenten Zielen von progressiver Kulturproduktion und -politik avanciert. Junge Frauen* steigern mit ihrer Kritik die Sensibilität gegenüber sexistischer (und anderer) Diskriminierung. Prominente Botschafter*innen gegen Klimawandel, Krieg, Flucht und Vertreibung, für den Tierschutz und für Mädchenrechte sind, wie vielfach kommentiert, derzeit oft Mädchen. Black lives matter begann in den USA als von jungen Frauen geführte Bewegung. In den sozialen Medien gehen Pop und Politik ohnehin ineinander über: Aktivismus organisiert sich über die sozialen Medien und Mädchen partizipieren und artikulieren sich auf diesem Weg; nicht wenige Influencer*innen sind woke; mädchengeprägte fandoms gehen in Polit-Aktionen über. Der zeitgenössische Feminismus tritt auch und gerade als junger, populärer Netz-Feminismus an die Öffentlichkeit. Anders gesagt: In einer Zeit, in der die alten, weißen Männer als politisch-moralische Anti-Figur der Gegenwartskultur(kritik) fungieren, verspricht das Mädchen* vielfach (wieder?) eine bessere, gerechtere, jugendlichere, und vielleicht auch: sinnlichere Welt – der die Zukunft gehören könnte.
Vor dem Hintergrund solcher zeitdiagnostischer Einsätze, aber auch einer offenen Herangehensweise an das Themenfeld der „Mädchen*fantasien“, soll die Tagung ethnografische, medienkulturanalytische und historisch-anthropologische Beiträge zusammenführen und miteinander ins Gespräch bringen.
Von Interesse sind deshalb unter anderem Beiträge über …
Ikonische populärkulturelle Mädchen-Figuren und Darstellungsweisen
Also: Mädchen in Medien und Medien für Mädchen; die Repräsentation in (populärer) Literatur bzw. Kinder- und Jugendmedien, Musik, Filmen, Werbung, Serien, Games etc., bzw. kulturelle Erzeugnisse, die den Mädchenmarkt bedient haben und bedienen.
Mädchen* als Produzentinnen/Konsumentinnen/Prosumerinnen und Kritikerinnen von zeitgenössischer Populär- und insbesondere Internetkultur
Internet und soziale Medien haben in den letzten Jahren entscheidend zum Wandel von Mädchen-Figuren und zu deren Politisierungen beigetragen, nicht zuletzt, weil die Technologien vielen jungen Frauen neue Formen von Teilhabe ermöglichen. Manche sozialen Medien gelten selbst als (verhältnismäßig) mädchenhaft (TikTok, Instagram, Snapchat, etc.). Durch die Alltäglichkeit von Social Media und feministische Diskussionen um die Bedeutungen und Grenzen medialer Politiken gerät auch das Verhältnis von inszenierter Medienrealität und sozialer Wirklichkeit in den Blick. Was bedeutet dies für die Mädchenforschung nach eigenen Maßstäben? Welche Rolle spielen dabei identity politics verschiedener Provenienz?
Populärkulturell geprägte und die Populärkultur prägende Mädchen-Alltage in verschiedenen sozialen Milieus
Die Ethnografie von Mädchen und ihren Praktiken (bzw. den Praktiken, die sie zu Mädchen machen) ermöglicht es, „Mädchen*fantasien“ jenseits der Wirklichkeit/Fantasie-Dichotomie zu beschreiben, u.a. unter dem Aspekt alltäglicher symbolischer Kreativität. Wie gehen Mädchen mit den gesellschaftlichen Anforderungen des Mädchenseins, z.B. den Diktaten der Freundlichkeit, Häuslichkeit und affektiver Arbeit um, wie gestalten sie Alltag in der Auseinandersetzung mit dem kulturellen Mainstream und seinen Bildern und Mythen? Wie werden seriell erzeugte Träume, Fantasien und Sehnsüchte angeeignet und umgedeutet? Inwieweit fördern und viertiefen, inwieweit verhindern sie alternative Mädchenhaftigkeit(en) bzw. lösen sich davon ab? Das zielt auf Ethnografie in klassischen Jugendsubkulturen (Rocker-, HipHop-, Hippie-, Emo-, Gothic-Girls, Cosplayerinnen, etc.), aber auch die Ethnografie von spezifischeren Mädchen-Jugend(sub)kulturen (angefangen bei der „bedroom culture“), die nicht alle auf den ersten Blick als solche erkannt werden. Dabei sollten gerade gesellschaftlich nicht-dominante Erfahrungs- und Artikulationsräume eine besondere Rolle spielen.
Mädchen* als Gegenstand von gesellschaftlichen Debatten, Politiken, Wissensregimen
Die angesprochenen Phänomene sind auch Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen und institutionellem Handeln: Von Medienerziehungskampagnen in Schulen und durch freie Träger, Mädchen-Förderprogramme (z.B. für mehr Mädchen* in MINT-Fächern oder im HipHop, in der Geschichte der Bundesrepublik einst zugunsten des katholischen Arbeitermädchens vom Land), Marketing-Kampagnen. Auch sie tragen – mit populärkulturellen Mitteln und in populärkulturellen Handlungsfeldern – zur öffentlichen Figurierung bzw. Konstruktion von Mädchen* bei und eröffnen und strukturieren alltägliche Handlungsräume, wenn auch nicht immer im Sinne jener Institutionen. So lässt sich die Populärkulturethnografie auch mit Ansätzen zusammenführen, die in der „political anthropology“ eine größere Rolle spielen.
Die Tagung soll Mädchen*-Stimmen in einer auf verschiedenen Ebenen weiterhin Jungs-dominierten Populär- und Unterhaltungskulturforschung Gehör verschaffen und geschlechtskonstituierenden und -spezifischen Wahrnehmungsweisen nachspüren. Sie fragt, wie kulturelle Figurierungen des Mädchenseins gesellschaftliche Konjunkturen prägen. Und sie bietet Gelegenheit zum Nachdenken darüber, wie sich Begriffe, Gegenstandsbestimmungen und Forschungsstile verändern müssen, um Mädchen im Kontext von populärer Unterhaltung und Vergnügung nach eigenen Maßstäben zu verstehen und zu beschreiben. Besondere Beachtung schenken wir dabei im Sinne des sensual turn dem Sinnlichen und Imaginären und somit der Ambivalenz von hegemonialen Angeboten und (sinnlicher) Aneignung, von Wahrnehmen und Evozieren, Spüren und Repräsentieren, Fühlen und Handeln, Hören und Sprechen.
Die Tagung richtet sich insbesondere an Kolleg*innen in den Bereichen gegenwartsbezogene und historische Pop(ulär)kulturforschung, populäre Literatur und Medien, digitale Ethnografie, Jugend-Subkultur-Ethnografie, Gender und Queer Studies und kulturtheoretisch arbeitender (Pop-)Feminismus. Gefragt sind empirisch gesättigte Einzelfallstudien und auch Reflexionen der heuristischen kulturtheoretischen, macht- und konjunkturanalytischen, affekttheoretischen Potenziale solcher Perspektiven. Wie in der Europäischen Ethnologie insgesamt liegt der regionale Fokus primär auf europäischen Gesellschaften und auf der Konstruktion des Europäischen (in all seiner Diversität und im Bewusstsein der Arbitrarität/Kontingenz solcher Grenzziehungen), Ausnahmen von dieser Regel sind möglich und gewünscht, wenn sie inhaltlich überzeugend begründet sind.
Vorgesehen sind Vorträge von ca. 25 Min. Die Organisator:innen bitten um die Einsendung von Abstracts im Umfang von maximal 400 Wörtern bis zum 30.9.2021 an maedchentagung@isek.uzh.ch.
Falls keine institutionelle Reisekostenübernahme möglich ist, kommt das ISEK für die Übernachtungskosten der Referent:innen auf.
Organisation der Tagung: Moritz Ege, Christine Lötscher, Julian Schmitzberger und Anja Schwanhäußer (ISEK/Uni Zürich; IfKAEE/Uni Göttingen).
Kontakt
Anja Schwanhäußer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt: „Pferdemädchen“: Struktur und Sinnlichkeit einer jugendkulturellen Figur (DFG – Eigene Stelle)
Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen, Heinrich-Düker-Weg 14, D-37073 Göttingen
Buerro in der Kupferfabrik, Brückenstr. 1, D-10179 Berlin
E-Mail: anja.schwanhaeusser @ uni-goettingen.de