CfP: UEBER CRINGE. Ambivalente Affekte und Ästhetiken des Alltäglichen. (7.-9.07.25, Heidelberg)

UEBER CRINGE. Ambivalente Affekte und Ästhetiken des Alltäglichen.

Universität Heidelberg
7.-9. Juli 2025
Organisation: Theresa Heyd (Heidelberg) und Heide Volkening (Greifswald)

Call for Papers
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Cringe ist ein Impuls und ein Phänomen, dem wir alltäglich begegnen – besonders in medialen und digitalen Kontextenoder in Genres der Populärkultur wie Cringe Comedy, durch metasprachliche Reaktionen in digitaler sprachlicher Praxiswie etwa in schamvollen Selbstbeschreibungen oder in der pejorativen Kommentierung anderer. Es ist also naheliegend, cringe als einen ambivalenten Affekt zu beschreiben, der durch die Simultanität von Lust und Unlust, Genuss und Unbehagen entsteht, wie zum Beispiel im „painful laughter“ (Schwanebeck 2021) oder in der „squirm comedy“ (Duncan 2017). Cringe oszilliert zwischen einer Darstellung leichter und lustiger Momente auf der einen und abwertenden, marginalisierenden diskursiven Praktiken der sogenannten cringe culture auf der anderen Seite. In beiden Fällen nutzen Darstellungen und Urteile soziale Differenzierung wie Alter (boomercringe), Geschlecht, sexuelle Identifizierungen, Klasse und andere mehr.

In diesen Hinsichten weist cringe Gemeinsamkeiten mit anderen Ugly Feelings (Ngai 2004) auf, von denen einige feste Bestandteile alltäglicher, (post-)digitaler Routinen geworden sind: wir genießen guilty pleasures, wir machen ugly selfies, wir konsumieren und kommentieren mit Lust, was wir hassen. Wir begegnen diesen und weiteren ambivalenten Affekten der Schamlust in literarischen, audiovisuellen und künstlerischen Kontexten genauso wie in ästhetischen, medialen und digitalen Alltagspraktiken und -stilen. 

Serien wie Fleabag (Two Brothers Pictures, 2016-2019), Sexuell verfügbar (Majestic Filmproduktion, 2024) und die inzwischen vielfältige Tradition der mockumentaries aus Büros, Supermärkten und anderen Schauplätzen, aber auch Filme von Miranda July oder Maren Ade sind jeweils auf andere Weise geprägt durch ambivalente cringe-Momente(Zanichelli 2021). In der Gegenwartsliteratur lässt sich cringe sowohl als eine Schreibweise zwischen Schamvermeidung und -provokation als auch als Rezeptionsphänomen beobachten, sei es in komischer Pointierung wie bei den Arbeiten Stefanie Sargnagels oder in Barbi Markovićs Mini Horror (2023) oder als Geste peinlicher Selbstbeobachtung wie etwa in Leif Randts Allegro Pastell (2021).

Die Soziolinguistik beschäftigt sich aktuell mit cringe nahestehenden ambivalenten Affekten und ihrer Versprachlichung,da sie das komplexe Facework rund um Affirmation, Distinktion und den Ausdruck von Geschmacksurteilen betreffen. So haben sich soziophonetische Studien mit der verkörperten Performance von Gefühlskonstellationen wie having chill(Pratt 2023) oder being fierce (Calder 2017) befasst; diskursive Ansätze haben Formen der strategischen Selbsterniedrigung (Page 2019) oder der digitalen Beschämung von Sozialfiguren (Ilbury 2022, Heyd 2022) untersucht. Ambivalente Affekte und ihre Ästhetiken des Alltäglichen (Meyerhoff und Mendoza-Denton 2022) bilden einen sprachwissenschaftlichen Deutungsrahmen für Cringephänomene.

Mit unserer Konferenz möchten wir interdisziplinäre Perspektiven auf cringe und verwandte ambivalente Affekte in verschiedenen Bereichen aktueller Ästhetiken des Alltäglichen zusammenbringen. Wir freuen uns auf Beitragsvorschläge und Exposés aus den Literatur- und Sprachwissenschaften sowie aus anderen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Vorschläge für Votragsthemen können sich an den folgenden geplanten Schwerpunkten orientieren:

a) Medialität und Sprache: Cringe ist ein sprachlich-diskursives Phänomen, das in der multimodalen Kommunikation zwischen Akteur*innen oder aber auf der Ebene ästhetischer Verfahren entsteht und gleichzeitig auch als intensive metadiskursive Praxis existiert. Wie zeigt sich cringe in medialen und digitalen Sprach- und künstlerischen Praktiken, deren Kommunikationslogiken uns unablässig zum Kommentieren und Auf- und Abwerten von Äußerungen anregen?

b) Irritation und Störung: Cringeurteile weisen auf Dynamiken und Szenarien der Abweichung hin. Wo cringe empfunden wird, liegen Brüche im Face-Management vor, sind Sprechakte nicht geglückt, wird diskursiver oder ästhetischer Common Ground verfehlt. Cringeästhetiken arbeiten mit Konventionsbrüchen, Irritationen oder Störungen. Als cringeerscheint das, was der Erwartung auf unerwartete Weise nicht entspricht. Wie und in welchen sprachlichen und digitalen Praktiken äußern und zeigen sich diese Störungen, wie werden sie kommentiert und beurteilt? Welche textuellen und visuellen Verfahren finden sich in ästhetisierenden und künstlerischen Formaten?

 c) Übertragung und Distinktion: Cringe ist ein Phänomen der Übertragung und Empathie. An der Stelle anderer, die ihre Äußerung, ihr Verhalten oder ihren Körper nicht als peinlich oder unangemessen empfinden, reagiert die beobachtende und urteilende Person mit Gefühlen wie Scham und Peinlichkeit. Im Zusammenspiel von Empathie und Normverstoß zeigen sich Prozesse der Abgrenzung. Inwiefern und auf welche Weise können Zuschreibungen von cringeZuschreibungen als Markierung sozialer Distinktion fungieren? Welche Differenzen spielen neben der für cringe prominenten Unterscheidung von jung versus alt eine Rolle? Wir möchten hier diskutieren, wie sich intersektionale Teilungen in cringe herstellen, verstärken und perpetuieren oder auch auflösen, mindern und verändern lassen.

d) Kommunalität und Geschmack: An dem Urteil “cringe” kann exemplarisch beobachtet werden, wie sich gesellschaftliche Paradigmenwechsel zugleich im sprachlichen Handeln und in ästhetischen Modellierungen vollziehen. Auf welche Weise zeigen und bilden sich in Attribuierungen von cringe sprachliche und soziale Communities of Practice und ästhetische Geschmacks- oder Stilgemeinschaften?

Wir bitten um kurze Abstracts (ca. 300 Wörter) für 20-30minütige Vorträge, die sich im Rahmen der obenstehenden inhaltlichen Hinweise und Fragestellungen bewegen.  

Bitte schicken Sie Ihr Abstract bis zum 15. November 2024 an uebercringe[atweb[dot]de. Für weitere Fragen wenden Sie sich gerne an theresa.heyd[at]as.uni-heidelberg[dot]de oder heide.volkening[at]uni-greifswald[dot]de.

Die Konferenz wird vom 7.-9. Juli 2025 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg stattfinden: https://www.uni-heidelberg.de/einrichtungen/iwh/ . Wir übernehmen im Fall der Annahme eines Beitrages die Unterbringungskosten und können eine Reiskeostenpauschle anbieten.

Die Konferenz wird von Theresa Heyd und Iris Bencsik (English Linguistics, Universität Heidelberg) und Heide Volkening and Johanna Daether (Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie, Universität Greifswald) im Rahmen des gemeinsamen, von der Volkswagen Stiftung geförderten Forschungsprojektes Cringe: Ästhetik und diskursive Praxis der Schamlust (www.uebercringe.de) veranstaltet.

Literatur

Calder, J. (2019). The fierceness of fronted/s: Linguistic rhematization through visual transformation. Language in Society, 48(1), 31-64.

Duncan, P. (2017). Joke work: comic labor and the aesthetics of the awkward. Comedy Studies, 8(1), 36-56.

Heyd, T. (2022). First names and sociolinguistic enregisterment: Digital tropes of linguistic mobility. Language & Communication, 87, 271-283.

Ilbury, C. (2022). U Ok Hun?: The digital commodification of white woman style. Journal of Sociolinguistics, 26(4), 483-504.

Marković, B. (2023). Minihorror. Salzburg/Wien.

Meyerhoff, M., & Mendoza-Denton, N. (2022). Aesthetics in Styles and Variation: A Fresh Flavor. Annual Review of Anthropology, 51(1), 103-120.

Ngai, S. (2004). Ugly feelings. Harvard University Press.

Page, R. (2019). Self-denigration and the mixed messages of ‘ugly’selfies in Instagram. Internet Pragmatics, 2(2), 173-205.

Pratt, T. (2023). Affect in sociolinguistic style. Language in Society, 52(1), 1-26.

Randt, L. (2020). Allegro Pastell. Köln.

Schwanebeck, W. (2021). Introduction to painful laughter: Media and politics in the age of cringe. Humanities, 10(4), 123.

Zanichelli, E. (2021). Kompulsivfeminismus. Elena Zanichelli über Phoebe Waller-Bridges Cringe-Comedy “Fleabag”. Texte zur Kunst. https://www.textezurkunst.de/de/articles/elena-zanichelli-kompulsivfeminismus/ [zuletzt eingesehen am 04.10.24].

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