CfP: Hip Hop in Deutschland 2020, Ludwigsburg

Call for Papers:

Hip Hop in Deutschland 2020. Medialität, Tradierung, Gesellschaftskritik und Bildungsaspekte einer (Jugend-)Kultur.

19./20. Juni 2020 in Ludwigsburg


Deadline: 13.12.2019


Ort:
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Institut für Musik, Kunst & Sport

Veranstalter:
Prof. Dr. Michael Rappe
(Hochschule für Musik und Tanz Köln)

Prof. Dr. Thomas Wilke
(Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)


Gegenstand:
Hip Hop als eine komplexe kulturelle Erscheinungsform ist in seinen Einzelelementen heutzutage nicht mehr wegzudenken aus Musik- und Alltagskultur, Identitäts- und Sozialisierungsprozessen, aus Abgrenzungsdiskursen, Stilfragen, Innovationszyklen, Modeentwicklungen, Kommunikationsdynamiken, wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und ökonomischen Zusammenhängen. Seien es die Panini-Sammelbilder zum Deutschrap ab 2000, die über 73 Millionen Beiträge auf Instagram unter #hiphop, sei es die Ü30-HipHop-Party in Leipzig mit Samy Deluxe als DJ oder die Fanta4-Ausstellung im Stuttgarter Stadtmuseum, seien es HipHop-Workshops oder filmische Thematisierungen in Serien wie Skyline oder Dogs of Berlin – die thematische Verhandlungsbreite ist immens und betrifft nicht mehr nur ‚die Jugend‘.

In Deutschland entwickelt sich Hip Hop ab Anfang der 1980er Jahre wesentlich als (medialer) Import, vorwiegend in von amerikanischen GI-geprägten Gebieten wie Heidelberg und Stuttgart. Daraus ergibt sich eine starke mediale Handlungsschablone bis Ende der 80er Jahre. Die Filme Wildstyle (Ch. Ahearn 1983) und Beatstreet (H. Belafonte, A. Baker 1984) sorgen auch in Deutschland für eine große mediale Aufmerksamkeit, neben Begeisterung auch mit typisch deutscher Überpädagogisierung (bspw. im BR-Fernsehen: Breakdance mit Eisi Gulp) oder niederschmetternder Kritik (Musikexpress 09/84). Nach dem Abflauen dieser Welle und einer subkulturell-paneuropäischen Entwicklung der ‚deutschen Oldschool’ (Loh/Verlan) entfaltet sich Hip Hop in Deutschland zum Mainstreamphänomen um 2000. Musikfernsehsendungen wie Viva Freestyle katalysieren dabei die Wahrnehmung auf Rap und Musik. Bis Mitte der 1990er Jahre bleibt auf den Jams der Wettbewerbsgedanke um die besten Moves und Raps, Graffitis oder DJ-Skills (was international seit 1985 bei den DMC World Championships und seit Mitte der 1990er auch bei den ITF-DJ-Battles ausgetragen wird) bestehen. Allen gemein ist die Begegnung und der Wettstreit, sei es direkt auf Jams, bei Battles oder indirekt beim Graffiti oder Rap. Zugrunde liegt der Gedanke des Austauschs und der Ansporn, dem Gegenüber in einem Wettstreit mindestens ebenbürtig zu sein, wenn nicht gar besser. Sinnzuschreibungen erfolgen über das gemeinsame Handeln, das sich in unterschiedlichen kulturellen Praxen zeigt und in die Körper einschreibt: HipHops sind HipHops, ein Rapper ist ein Rapper, ein Writer ein Writer ...
Während in Ländern wie Frankreich Hip Hop auch Gegenstand der Fernsehberichterstattung ist oder in den USA Hip Hop Studies auch curricular verankert ist, wird in Deutschland Hip Hop in seiner Breite noch immer tendenziell verengend wahrgenommen, wie die jüngsten Auseinandersetzungen um Kollegah und Farid Bang gezeigt haben. Dabei mehren sich Publikationen zu einzelnen Phänomen wie einer Geschichtsschreibung des deutschen Hip Hop (Wehn/Bortot 2019, Verlan/Loh 2015), der Aufarbeitung punktueller Entwicklungen wie Rap am Mittwoch (Salomo 2019), autobiographischer Zeugnisse (u.a. Blumentopf, Fler, Bushido, Kollegah, Xatar, 187 etc.) genrespezifischer Auseinandersetzungen (Seeliger 2019, Dietrich 2016) oder wissenschaftliche Verortungen (bspw. Manemann/Brock 2018, Rappe/Stöger 2017, 2014, Wilke 2013, Saied 2012, Baier 2012, Bock, Meier, Süß 2007). Das Feld ist breit und dynamisch, wissenschaftliche Perspektiven auf Breakdancing, DJing, Beatmaking, Beatboxing, MCing und Writing bilden dabei jedoch oft die Ausnahme. Erste Institutionalisierungsschritte in der Forschung zeitigt seit 2018 das Netzwerk The European Hiphop Studies Network.

Die interdisziplinär ausgerichtete Tagung möchte mit dem Titel nicht nur eine Bestandsaufnahme vornehmen, sondern zugleich eine systematisierende Herangehensweise im Umgang, der Aufarbeitung, der Einordnung und der Potentiale von Hip Hop als die Summe seiner einzelnen Elemente angehen. Ausschlaggebend sind Fragen nach den Diskursformen von Hip Hop als Kultur, in seinen Alltagsbeschreibungen oder ihrer Verweigerung, als Ritualisierung, als Inszenierung, als Tradierung in seiner fast 40jährigen Geschichte, als kommunikative Gedächtnisform oder nach gegenwärtigen Einschränkungen, wenn beispielsweise nur Straßenrap und sprachliche Gewaltdarstellungen pars pro toto in den Blick genommen werden. In diesem Sinne ist auch die Frage nach dem tradierten Selbstverständnis von Hip Hop als Kultur der vier Elemente und ihrer Beziehung zueinander zu aktualisieren. Mit stetem Blick auf die Entwicklung von Hip Hop in Deutschland und die gegenwärtige Situation fokussiert die Tagung folgende Bereiche:

I. Aspekte und Dimensionen von Medialität
• Vernetzungen und Austausch: Hip Hop (G)Lokal und Medial
• Virale Produktion und Distribution von Hip Hop
• Websites, Fanzines, Gossip und Musikjournalismus
• Hip Hop im Film und in Serien
• Mediale Repräsentationen (bspw. Musikvideos) und Rolemodels
• DJing, MCing, Beatboxen, Beatmaking und Graffiti im Zeichen der Digitalisierung

II. Aspekte und Dimensionen von Tradierung, Tradition, Archivierung
• Kulturelles Gedächtnis von Hip Hop in situ und in actu
• Fragen der Archivierung von Hip Hop
• Historisierung und Oral History
• Traditionslinien und -brüche im MCing, DJing, Breaking Graffiti
• Selbstreferenzialisierungen und Verweissysteme von Sozialisierungsmomenten und kulturellen Praxen
• Der Blick von außen: Deutscher Hip Hop in der internationalen Wahrnehmung

III. Aspekte und Dimensionen von Gesellschaft, Kritik, Gesellschaftskritik
• Kritische/Politische Positionen in/durch Hip Hop
• Thematisierung von Gesellschaft auf Text- und Bildebene, aber auch auf klanglicher (Beatmaking, DJing) oder körperlicher (Breakdancing) Ebene
• Hip Hop zwischen Empowerment und Vereinnahmung
• Frauen und Gender im Hip Hop (Misogynie, Heteronormativität, Queer)
• Migration, Interkulturalität und Intersektionalität
• Be a Part of it: Jamkultur Gestern und Heute
• Rechtsrap

IV. Aspekte und Dimensionen von Lern- und Bildungsprozessen
• Informale und formale Lernorte: Hip Hop im Kulturzentrum, in der Schule und anderswo
• Selbstbildungsprozesse
• Prinzip des Each-One-Teach-One – Diskursivierung von Wissen
• Institutionalisierung und Akademisierung von Hip Hop
• Wissensordnungen im/des Hip Hop
Hinweise für Abstracts

Die Tagung bietet unterschiedliche Formate an, um eine differenzierte Auseinandersetzung und Analysen in Theorie und Praxis zu ermöglichen. Wir möchten Sie herzlich einladen, Abstracts zu Panelbeiträgen und künstlerisch-praktischen Workshops einzureichen. Die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten für Referent*innen ist beantragt, eine Publikation der Beiträge geplant.

I. PANELBEITRÄGE (20-30 min)
Die Bewerbung für Panelbeiträge sollte folgende Angaben enthalten:
• Titel und Abstract des Beitrags (ca. 1500 Zeichen inkl. Leerzeichen)
• Kurz-Vita (max. 500 Zeichen inkl. Leerzeichen).

II. WORKSHOPS (90 min)
Die Workshops sind auf 90 Minuten angelegt und finden mit einer begrenzten Anzahl an Tagungsteilnehmenden statt. Bitte geben Sie Ihren Bedarf an Räumlichkeiten und Technik an und wenden Sie sich bei Fragen direkt an uns.
• Kurzbeschreibung des Workshops (max. 1500 Zeichen inkl. Leerzeichen)
• Kurz-Vita (max. 500 Zeichen inkl. Leerzeichen)
• Angabe der benötigten Räumlichkeiten & ggf. des Materials

Bitte senden Sie Ihre Vorschläge bis 13. Dezember 2019 an:

Prof. Dr. Michael Rappe | Michael.Rappe @ hfmt-koeln.de
Prof. Dr. Thomas Wilke | thomas.wilke @ ph-ludwigsburg.de

Bitte ordnen Sie Ihr Abstract/Ihren Workshop einem der vier Themenschwerpunkte zu und machen Sie deutlich, ob es sich um einen Originalbeitrag handelt.

Über die Annahme des Beitrags/des Workshops entscheidet das Scientific Committee bis zum 18.12.2019. Eine Benachrichtigung erfolgt direkt im Anschluss.

Acar, Cihan (2015): 111 Gründe, HipHop zu lieben. Berlin.
Androutsopoulos, Jannis (2003): HipHop. Globale Kultur – Lokale Praktik. Bielefeld.
Baier, Angelika (2012): „Ich muss meinen Namen in den Himmel schreiben.“ Narration und Selbstkonstitution im deutschsprachigen Rap. Tübingen.
Bock, Karin, Stefan Meier, Gunter Süß (Hrsg.) (2007): Hip Hop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Bielefeld.
Bortot, Davide, Jan Wehn (2019): Könnt ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap. Berlin.
Diederichsen, Detlef, Johannes Ismail-Wendt, Susanne Stemmler (Hg.) (2012): Translating HipHop. Freiburg.
Dietrich, Marc (Hg.) (2016): Rap im 21. Jahrhundert. Eine (Sub-)Kultur im Wandel. Bielefeld.
Friedrich, Malte, Gabriele Klein (2003). Is this real? Die Kultur des Hiphop. Berlin.
Güler Saied, Ayla (2012). Rap in Deutschland. Bielefeld.
Klausegger, Isabella (2009): HipHop als subversive Kraft. Zur Konzeption von Machtverhältnissen und deren Dynamik in den Cultural Studies. Wien.
Manemann, Jürgen, Eike Brock (2018): Philosophie des HipHop. Bielefeld.
Peschke, André (2012): HipHop in Deutschland. Analyse einer Jugendkultur aus pädagogischer Sicht. Hamburg.
Rappe, Michael (2005): »Ich rappe, also bin ich! Hip Hop als Grundlage einer Pädagogik der actionality«. In: Musik//Politik. Texte und Projekte zur Musik im politischen Kontext. Hg. v. Ute Canaris, Bochum: Kamp Verlag, S. 122-138.
Rappe, Michael/Stöger, Christine (2014): »Lernen nicht, aber… – Bildungsprozesse im Breaking«. In: Teilhabe und Gerechtigkeit. Hg. v. Bernd Clausen, Münster: Waxmann, S. 149-162.
Rappe, Michael/Stöger, Christine (2017): »„I wanna do b-boy moves, but I wanna be known as a b-girl.“ Breaking lernen als Prozess der Identitätskonstruktion«. In: Musikpädagogik und Kulturwissenschaft/Music education and cultural studies. Band Band 38. Hg. v. Alexander J. Cvetko/Christian Rolle, Münster, New York: Waxmann, S. 137-152.
Salomo, Ben (2019): Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens. München.
Seeliger, Martin (2013): Deutscher Gangsta Rap. Zwischen Affirmation und Empowerment. Berlin.
Seeliger, Martin, Malte Dietrich (2017): Deutscher Gangsta-Rap II: Popkultur als Kampf um Anerkennung und Integration . Bielefeld.
Simonow, Eileen (2017): Entgrenzen, Entfliehen, Entmachten. Zur sakralen Dimension in US-amerikanischen Hip-Hop-Videos. Bielefeld.
Verlan, Sascha (2003): French Connection. HipHop-Dialoge zwischen Frankreich und Deutschland. Höfen.
Verlan, Sascha, Hannes Loh (2015). 35 Jahre HipHop in Deutschland: Aktualisierte und erweiterte Ausgabe des Standardwerks über die deutsche Hiphop Szene. Höfen.
Wilke, Thomas (2013): Put the needle on the record! Zur Performativität und Medialität des Scratchens. In: Marcus S. Kleiner, Thomas Wilke (Hrsg.) 2013: Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Wiesbaden, S. 413-432.

CFP, NewsHelene Heuser